German Finance Minister Wolfgang Schauble | Sean Gallup/Getty Images
Wie Schäuble Spanien vor Strafe rettete
Eine unwahrscheinliche Allianz kämpfte gegen Sanktionen für das Defizitland. Vorne mit dabei: der Bundesfinanzminister.
Unwidersprochen blieb der Tweet von Martin Selmayr, dem Kabinettschef des Kommissionspräsidenten. Die Bundesregierung habe nichts anders gewollt, als dass Spanien und Portugal vor Sanktionen verschont werden mögen: „Alle sind happy, sich hinter der Kommission verstecken zu können“, schrieb Selmayr, und: „Sprechen Sie mal mit den zwei zuständigen Ministern in Berlin.“
Man staunt und wundert sich. Denn die Reaktion des Bundesfinanzministeriums auf die Entscheidung der Kommission war in der Tat äußerst gelassen: „Nachvollziehbar“ seien die Brüsseler Argumente für den Verzicht auf Sanktionen, sagte ein Sprecher.
Der Minister, der im vergangenen Jahr die härteste aller möglichen Linien gegenüber Griechenland fuhr, der die Kommission öffentlich zur Härte gegenüber Defizitländern aufgefordert hat, ist nicht nur stillschweigend einverstanden mit der Straffreiheit für Regelbrecher. Er war einer der maßgeblichen Treiber der Entscheidung.
Jean-Claude Juncker hatte am Mittwoch hinter den verschlossenen Türen der Kommissionssitzung davon berichtet, dass Wolfgang Schäuble für eine Annullierung der Strafe gegen beide Länder geworben habe, die ihre nationalen Budgets grotesk überzogen hatten. „Wir brauchen nicht katholischer zu sein als der Papst“, fasste Juncker die Debatte nach Teilnehmerangaben zusammen.
Es war das Eingeständnis einer Niederlage der wenigen Hardliner in der Kommission — nicht mehr als vier waren es, darunter Günther Oettinger. Dem erklärten Willen des Finanzministers des größten Mitgliedslands hat die Kommission aber nichts entgegenzusetzen. „Machen Sie bitte bekannt, dass der Papst eine Null-Strafe wollte“, bat Juncker das Kollegium.
Die unwahrscheinlichen Allianzen sind in der Sache kaum zu erklären. Aber um die Sache ging es auch nicht, jedenfalls nicht um die Demonstration, dass der Stabilitätspakt mehr ist als eng bedrucktes Altpapier.
Schäuble warb im Verbund mit Euro-Kommissar Pierre Moscovici für die Annullierung der Strafe. Niemals gegen Frankreich zu stimmen, ist eine Konstante der Berliner Manöver in Brüsseler Gremien. Der Wunsch mag eine Rolle gespielt haben, der konservativen geschäftsführenden Regierung in Spanien nicht die Chancen auf einen neuen echten Regierungsauftrag zu nehmen — politisches Hedging, um im Club der vier großen Euro-Länder nicht allein unter Sozialisten zu sein. Nicht zuletzt: Schäuble zeigte Juncker, wer Koch ist und wer Kellner in Europa.
Ein Hahnenkampf zulasten der Glaubwürdigkeit. Nun kann man der Auffassung sein, dass die Kriterien willkürlich und viel zu kompliziert seien und reformiert werden müssten; dass nicht einmal Fachleute Dinge wie die Einundzwanzigstel-Regel zum Abbau der Staatsverschuldung verstehen und dass Portugals und Spaniens Ausrutscher einmalig waren.
Aber die Entscheidung zeigt, wie fundamental unfähig Europa ist, die Regeln durchzusetzen, die es sich gegeben hat. Es ging auch im Polen diese Woche bei der Kommissionssitzung, und im Falle Polens geht es an die Fundamente der EU, an die Rechtsstaatlichkeit. Die nationalkonservative Regierung soll dem Verfassungsgericht wieder zu seinem verfassungsmäßigen Recht verhelfen, die Exekutive effektiv zu kontrollieren. Drei Monate hat sie dafür Zeit aus Brüssel bekommen, sonst…
Nichts sonst. Und die Polen wissen es.
Samstags in der Welt, und hier: Florian Eder über die Macht und ihre Manöver.